Car­olin Emcke befasst sich in ihrem aktuellen Buch mit den aufkeimenden und gediehenen nation­al­is­tis­chen Posi­tio­nen in Deutsch­land und darüber hin­aus, wobei sie einen Akzent set­zen möchte für die Vertei­di­gung von Min­der­heit­en im Lichte des Pop­ulis­mus dieser Zeit. Sie bril­liert an den Stellen, an denen sie Posi­tio­nen als diskri­m­inierend und polemisierend demask­iert, indem sie die Posi­tion unaufgeregt entschlüs­selt.

Weniger überzeu­gend ist Emcke allerd­ings in ihrer Einord­nung von Posi­tio­nen in einen his­torischen oder wis­senschaftlichen Kon­text. So bes­timmt sie die “Parteilichkeit der Ver­standeswaage” aus ein­er Textstelle aus Kants “Träume eines Geis­terse­hers”, d.i. ein Text vor dessen so genan­nter kri­tis­chen Phase, als “Vor­ein­genom­men­heit durch die Hoff­nung”, wobei es an der betr­e­f­fend­en Stelle im Kan­tis­chen Text über­haupt nicht um Hoff­nung geht. Um Hoff­nung geht es bei Kant in der Reli­gion­sphiloso­phie. So ein Name­drop­ping ist so wenig überzeu­gend wie beein­druck­end.

Und auch wenn andere Stellen in ihrer gewoll­ten Belehrung eher ner­ven als ein­nehmen, ist das Buch wegen der Analy­se­fährigkeit der Autorin empfehlenswert.

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Das Buch gibt es derzeit in ein­er Son­der­aus­gabe bei der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung für 4,50€.

Die Mord­serie der recht­sex­tremen ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung Nation­al­sozial­is­tis­ch­er Unter­grund gehört zu den schlimm­sten Ver­brechen der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land. Dieses Buch bein­hal­tet Semi­ya Şimşeks Beschrei­bung des Lebens und der Ermor­dung durch die NSU ihres Vaters, Enver Şimşek, den Fol­gen für ihre Fam­i­lie und erbärm­liche Rolle, die der deutsche Staat bei der Aufar­beitung gespielt hat und immer noch spielt.

Wir schreiben das Jahr 2017, der Mord an Enver Şimşek liegt 16 Jahre zurück, und der Prozess gegen das let­zte Mit­glied der für die dazuge­hörende Mord­serie ver­ant­wortliche Gruppe, geht dem Ende ent­ge­gen. Und den­noch ist es erschreck­end, wie viele wichtige Fra­gen hierzu offen sind und vielle­icht bleiben.

Dieses Buch ver­schafft einen Ein­blick in die Sit­u­a­tion, wie sie sich für beteiligte Fam­i­lien­ange­hörige, darstellt. Es ver­liert sich nicht in kitschi­gen oder anders sach­frem­den Beschrei­bun­gen, son­dern fokussiert sich auf die Tat und ihre Nach­wirkun­gen. Abgeschlossen wird es von ein­er juris­tis­chen Ein­schätzung der Angele­gen­heit durch die Anwälte von Semi­ya Şimşek, die aus ihrer Sicht noch mal klar machen, um was für einen poli­tis­chen Skan­dal es hier eigentlich geht. Das es bei der ganzen Sache noch keinen einzi­gen Rück­tritt eines zuständi­gen Beamten gegeben hat, ist nicht min­der ver­wun­der­lich, eher aus­sagekräftig.

Ein Plä­doy­er für Gerechtigkeit und dafür, in der Katas­tro­phe Stärke zeigen zu kön­nen.

jamesproimos Dieses Buch ist ein Jugend­buch, das wegen seines Witzes und der Kürze sein­er Einzelepiso­den dur­chaus auch für Erwach­sene inter­es­sant ist:

Herc’ wird nach dem Tod seines Vaters zu seinem Onkel geschickt. Und der stellt ihm für die Zeit seines Aufen­thalts 12 Auf­gaben, die er wie sein Namensge­ber Tag für Tag zu bewälti­gen hat:

  1. Such dir eine Auf­gabe.
  2. Finde den besten Piz­za­laden der Stadt.
  3. Räum die Garage auf.
  4. Miste die Ställe auf der River­bend Farm aus.
  5. Setz dich unter einen Baum und lies ein kom­pettes Buch.
  6. Beg­ib dich an einen Ort der Huldigung und des Gebets.
  7. Geh zu sieben Bewer­bungs­ge­sprächen.
  8. Ver­bring den Tag mit großen Gedanken, Schreib sie auf.
  9. Iss eine Mahlzeit mit einem Unebkan­nten.
  10. Mach etwas für mich.
  11. Trag auf der Mit­ter­nacht­slyrik­le­sung im Blake’s Cof­fee Shop ein Gedicht vor.
  12. Beende deine Auf­gabe.

Die Geschicht­en behal­ten dank guter Über­set­zung von Uwe-Michael Gutzschhahn den mitunter schrof­fen Stil des Orig­i­nals und erheit­ern durch wieder­holte Aushe­belung der Erwartun­gen des Lesers.

»Direkt, knapp und kraftvoll erzählt James Proimos vom Ver­loren­sein und Scheit­ern, vom Ver­ste­hen und Neuzusam­menset­zen.«
Die Zeit

Ger­ade ist seit­ens der Hein­rich-Böll-Stiftung ein pro­vokant daherk­om­mendes Buch mit dem Titel Iss was?! Tiere, Fleisch & Ich erschienen. Ab dem 10. März ist es auch kosten­los als Down­load erhältlich. Und darum geht’s:

Laut der Stiftung räumt das Buch auf mit dem verniedlichen­den Bild von unser­er Land­wirtschaft. “Wir soll­ten endlich aufhören, Kindern und Jugendlichen Wurst in Bärchen­form aufzutis­chen und so zu tun, als würde unser Fleisch von glück­lichen Tieren vom Bauern­hof kom­men. Es ist höch­ste Zeit, dass wir Jugendliche als mündi­ge Kon­sumenten ernst nehmen, die eigene Entschei­dun­gen tre­f­fen wollen”, sagt Bar­bara Unmüßig, Vor­stand der Hein­rich-Böll-Stiftung. Dafür müsse man den Mut haben mit ihnen über die ver­schiede­nen Facetten der Fleis­ch­pro­duk­tion ins Gespräch zu kom­men.

Pro­vokant oder nicht: Fleis­chlose Nahrungsalter­na­tiv­en sind im Trend. In Osnabrück beispiel­sweise hat ein Sushi-Laden Erfolg, der auss­chließlich veg­anes Sushi anbi­etet. Das hat allerd­ings seinen Preis, Sushi ist eh nicht ger­ade etwas für den schmalen Geld­beu­tel. Wie man sich aber Sushi ganz kostengün­stig und veg­an selb­st machen kann, zeigt Tati.

jannetellernichtsDieses Buch wurde in Däne­mark schon 2000 aufgelegt, schaffte es aber erst 2010 in deutsch­er Über­set­zung in hiesige Bücher­lä­den. In Däne­mark verur­sachte das Buch einen kleinen Skan­dal — und das nicht ohne Grund.

Das Buch han­delt von ein­er Gruppe Jugendlich­er, die sich von einem ihre Mitschüler provoziert fühlt. Dieser ste­ht einges Tages in der Klasse auf und verkün­det, dass sein­er Mei­n­ung nach nichts in der Welt von Bedeu­tung sei. Daraufhin schaf­fen die Jugendlichen einen Schrot­tberg, auf dem sie Dinge ver­bren­nen, die ihnen wichtig sind. Die Aktion artet in psy­chis­ch­er und kör­per­lich­er Gewalt aus.

Janne Tellers Roman, zu dem es bei Wikipedia eine aus­führliche Inhalt­sangabe gibt, besticht durch sprach­liche Präzi­sion und ein­er ner­ve­naufreiben­den Geschichte. In bezug auf Jugendge­walt ist der Roman nicht zim­per­lich, was für einige, aber sicher­lich nicht alle Jugendliche real­itäts­fern ist. Insofern ist dieser Buchtipp vielle­icht nicht für jeden Schüler etwas, aber ger­ade für eine Befas­sung mit dem The­ma Jugendge­walt und Werte ist das Buch eine geeignete Vor­lage.

scherpetagMary Scherpe ist eine bekan­nte Mode­blog­gerin. Und sie hat einen Stalk­er. Der schickt ihr tagtäglich irgendwelche Dinge, mis­cht sich in ihre Pri­vatleben ein, kon­tak­tiert Fre­unde, ver­fol­gt sie. In diesem Buch schreibt sie nieder, was passiert ist. Wie sie ver­sucht hat, ihn zu brem­sen, ihn zu ver­ste­hen, ihm zu helfen. Wie sie scheit­erte und wie es ihr zuset­zte.

Die Stärke des Buch­es ist, dass Scherpe nicht in fem­i­nis­tis­che Klis­chees abwan­dert, ihre eigene Rolle nicht merk­lich schön­schreibt und sprach­lich sehr gut for­muliert. So ist der Leser erstaunt, was ihr alles wider­fährt, aber auch irri­tiert, weswe­gen sie ihn vor Fre­un­den ern­sthaft als Affäre kaschiert oder ver­sucht, sich seines Prob­lems anzunehmen.

Das Buch ist nicht moral­isierend, nicht objek­tiv, aber offen und schildert, wie Stalk­ing heutzu­tage von­stat­tenge­ht. Und es ist ein Plä­doy­er dafür, sich zu wehren, wenn man ange­gan­gen wird.

Mary Scherpe, An jedem einzel­nen Tag. Mein Leben mit einem Stalk­er, Bastei Lübbe, 14,99€ (gebun­dene Ausgabe)/ 11,99€ (eBook)

muehlingDieses Buch ist eine Art Road-Movie zwis­chen Buchdeck­eln quer durch Rus­s­land und die Ukraine. Müh­ling ist auf der Suche nach wahren Geschicht­en, von denen ihm ein Fre­und mal sagte, es gäbe sie nur in Rus­s­land zu find­en. So macht er sich eines Tages auf den Weg, Agaf­ja Lykowa zu tre­f­fen, was sich als waghal­siges, wenn nicht gar lebens­ge­fährlich­es Aben­teuer erweist.

Man lernt in diesem Buch vieles über die Geschichte Rus­s­lands und einiges über den Umgang mit Russen. Agaf­ja Lykowa ist wohl die Dame in diesem Video:

Ein sehr lesenswert­er Schmök­er für alle, die mal einen Blick über den Teller­rand wagen wollen.

ichbloggdichwegJule ist ein junges Mäd­chen, das mit ihrer Band beim Schulfest auftreten soll. Dann erhält sie jedoch anonyme E‑Mails, Beschimp­fun­gen und Dro­hun­gen. Ein Fake-Pro­fil von ihr taucht im Inter­net auf und ihr wird nahe gelegt, die Band zu ver­lassen. In dieser starken Bedräng­nis kommt es schließlich zur gewalt­täti­gen Auseinan­der­set­zung.

Das Buch von Agnes Ham­mer behan­delt ein sehr aktuelles The­ma: Die Prob­lematik, dass Jugendliche ein­er­seits in der realen und ander­er­seits in der virtuellen Welt unter­wegs sind, und es schwierig wird, wenn Prob­leme der einen Sphäre mit der anderen in Berührung kom­men.

Was der Leser schnell merkt, ist, dass es sich hier­bei um eine klas­sis­che Schullek­türe han­delt, und das ist auch schon das Manko des Buch­es, wenn man so will: Die Geschichte ist über­raschungsarm, vorherse­hbar, das klas­sis­che Prob­lem, dass die jugendliche Erzäh­lerin mit mitunter arg ver­schachtel­teln Sätzen alles andere als jugendlich klingt, sowie dass sich die Akteure für Jugendliche doch sehr abgek­lärt ver­hal­ten. Bei ero­tis­chen Sit­u­a­tio­nen wirkt die polit­i­cal cor­rect­ness dann schon mal belusti­gend.

Aber als Schullek­türe, und für eine kom­mu­nika­tive Behand­lung durch Jugendliche ist das Buch, das einen für Jugendliche sehr fairen Preis hat, sicher­lich her­vor­ra­gend geeignet.

Den Text gibt es ger­ade als 99-Cent-E-Book-Aus­gabe und dann kann man sich sowas schon mal fix durch­le­sen. Wal­lace’ Rede an Anfänger eines geis­teswis­senschaftlichen Studi­ums und irgend­wie auch jeden, der seinen Kopf ern­sthaft beschäftigt, ist eine Rückbesin­nung darauf, dass es im Leben auch stark darum geht, das eigene Denkver­mö­gen in den Griff zu bekom­men. Sich­er, das alles ist irgend­wie Descartes ohne Descartes zu nen­nen. Aber es ist pep­pig vor­ge­tra­gen und nahe am Zuhör­er aus­ge­drückt, und so hört man Wal­lace gerne zu. Auf Youtube kann man sich die Rede auch im Orig­i­nal anhören. Bit­ter, dass der­jenige, der hier Her­anwach­senden darauf vor­bere­it­en will, sich darauf einzustellen, wie man 50 wird ohne sich eine Kugel in den Kopf zu schießen, selb­st keine 50 gewor­den ist. Der Umgang mit Medika­menten ist eben noch ein anderes The­ma.